Hotellerie, Tourismus und Gastronomie stehen vor paradoxen Anforderungen: Einerseits wird ein zunehmender Grad an Digitalisierung und Automatisierung gefordert, andererseits die Schaffung einzigartiger emotionaler Erlebnisse. Wie lassen sich diese auf den ersten Blick gegensätzlichen Entwicklungen miteinander in Einklang bringen?

In den letzten Jahren hat sich die Digitalisierung durchgesetzt. Sowohl im Backoffice als auch im Frontoffice hat sich der Einsatz von Technologie an sämtlichen Kontaktpunkten des Service verdichtet. Parallel dazu wurden immer mehr Aufgaben an die Kundinnen und Kunden delegiert. Die Art und Weise, wie Technologie implementiert wurde, begünstigt ein hohes Mass an Rationalisierung und «Datafizierung», mit einem Fokus auf Standardisierung. Häufig entsteht menschliche Interaktion rund um diese technologischen und prozessualen Strukturen.

Mitarbeitende sollen sowohl ihre digitalenKompetenzen als auch emotionale Intelligenz weiterentwickeln.

Doch ist der Standard das Ideal? Ist es nicht vielmehr die Variabilität, die emotionale Dimension, die das Erlebnis magisch macht? Anstatt die emotionale Interaktion auf einen «Touch» zu reduzieren, der einen Hightech-Prozess schmückt, wäre es nicht vorteilhafter, die Emotion ins Zentrum der Gastfreundschaft zu stellen – und erst danach die Technologie einzubinden? In diesem Sinne ist es möglicherweise sinnvoll, komplementär zu denken.

Diese Komplementarität zu denken, erfordert eine neue Rollenverteilung zwischen Mensch und Technologie. Das heisst: Mitarbeitende sollen sowohl ihre digitalen und KI-Kompetenzen als auch ihre emotionale Intelligenz weiterentwickeln. Ziel ist es, dass Mitarbeitende die Interaktionen zwischen Mensch und Technologie verstehen und Empathie sowie Personalisierung einbringen – wobei sie Technologie als ergänzende Ressource nutzen.

Gastfreundschaft ist ein menschliches Erlebnis. Die Unvorhersehbarkeit von Emotionen, ihre Nuancen, ihre Spontaneität – all das macht sie einzigartig und aussergewöhnlich. Ein menschenzentrierter Ansatz lädt dazu ein, den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Verantwortung zu übertragen, um sich von den technologischen Einschränkungen zu emanzipieren. Paradoxerweise ist es wohl genau dieser Weg, der es ermöglicht, das Beste aus der Technologie herauszuholen – ohne das zu verlieren, was das Herzstück der Branche ausmacht.

Bertrand Audrin ist Assistant Professor an der EHL Hospitality Business School.