Herr Leuenberger, Sie führen das legendäre Badrutt’s Palace, Synonym für Luxus und Geschichte. Was bedeutet Gastfreundschaft für Sie heute?
Gastfreundschaft ist Präsenz. Da sein, zuhören, wahrnehmen. In grossen Häusern wird das leicht vergessen, weil Bauprojekte, Eigentümerinteressen oder Reportings wichtiger erscheinen als die Gäste. Doch am Ende entsteht Erfolg nur durch zwei Gruppen: unsere Gäste und unsere Mitarbeitenden.
Wie vermitteln Sie dieses Bewusstsein an 650 Mitarbeitende?
Im Luxushotel gibt es Standards, an denen man sich orientiert. Das ist wichtig.
Aber?
Aber Standards allein schaffen keine Gastfreundschaft. Entscheidend ist, ob sich jemand wirklich für den Gast interessiert. Das hat mit Haltung zu tun, nicht mit Handbuch. Unsere Aufgabe als Führungsteam ist es, dieses Bewusstsein täglich vorzuleben.
Standards allein schaffen keine Gastfreundschaft.
Wie tun Sie das konkret im Alltag?
Wir beginnen jede Saison mit einer Art Kick-off, einer gemeinsamen Eröffnung. Da erkläre ich: Das ist unsere Vision, das sind unsere Werte, dafür stehen wir. Danach liegt es an uns, im Alltag präsent zu bleiben – in Briefings, in Begegnungen, in Gesprächen. Wenn etwas nicht ideal lief, nutzen wir das als Lernmoment. Ich erkläre lieber einmal zu viel, warum etwas wichtig ist, als einmal zu wenig.
Nahaufname von Richard Leuenberger
Wenn ich schlecht gelaunt bin,
… habe ich ein super Team, das meine Stimmung ändert.
Ein Regentag bedeutet für mich
… eine gute Gelegenheit zur Reflexion.
Die Klimakrise ist
… das grösste, noch immer unterschätzte Problem unserer Zeit.
Übertourismus ist
… für uns in St. Moritz kein Thema.
In den Ferien denke ich an
… meine Familie und die Zukunft.
Mit Freunden stosse ich an mit
... Champagner.
Privat unterwegs bin ich
… mit meiner Familie und unserem Hund.
Welches sind die drei wichtigsten Palace-Werte?
Familie, Pioniergeist und Tradition. «Familie» klingt banal, ist aber bei einem Saisonbetrieb zentral. Wir starten gemeinsam, gehen auf eine Reise und wissen, dass sie nach der Saison endet. Diese Zeit verbindet.
Pioniergeist als Wert für einen Casserolier scheint etwas übertrieben ...
(lacht) Nur auf den ersten Blick. Pioniergeist heisst bei uns nicht, dass jeder das Rad neu erfinden soll. Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen – im Kleinen wie im Grossen. Wenn ein Casserolier eine Idee hat, wie er einen Ablauf verbessern oder Abfall vermeiden kann, dann ist das schon Pioniergeist. Es geht um Mut, Eigeninitiative und darum, sich als Teil des Ganzen zu verstehen.
Employer Branding hat sich zu einem Modewort entwickelt. Wie gelingt es Ihnen, wirklich glaubwürdig zu sein?
Indem wir hinhören. Wir haben die Mitarbeitenden gefragt, wie sie das Palace erleben, was sie stolz macht und was sie sich wünschen. Diese Rückmeldungen sind Teil unseres Employer Brandings geworden.
Was haben Sie konkret umgesetzt?
Wir haben gezielt in die Lebensqualität der Mitarbeitenden investiert: Wir haben ein neues Mitarbeiterrestaurant gebaut und moderne Unterkünfte mit Steamer, gutem WLAN und Kochmöglichkeiten. Diese sind auf einem guten Drei-Sterne-Hotel-Niveau.
Im Sommer vermieten wir die Mitarbeiterwohnungen im Self-Check-in an Gäste. Das ist ein Erfolgsmodell.
Das klingt nach einem hohen Anspruch.
Ja, und er zahlt sich aus. Die neuen Mitarbeiterzimmer haben nicht nur das Leben im Haus verändert, sie sind inzwischen auch ein kleines Geschäftsmodell. Im Sommer, wenn wir weniger Personal brauchen, vermieten wir sie im Self-Check-in an unsere Gäste, mit grossem Erfolg. Es zeigt, dass gute Arbeitsbedingungen nicht nur kosten, sondern auch Wertschöpfung schaffen können.
Sie investieren auch kräftig in Infrastruktur. Wie viel genau?
Ein grosses Projekt war der neue Serlas Wing, unser Erweiterungsbau mit 25 Suiten – die grösste bauliche Veränderung in der Geschichte des Palace, mit Investitionen von rund 70 Millionen Franken. Solche Projekte sind Teil einer langfristigen Strategie: Wir investieren jedes Jahr zwischen 40 und 60 Millionen Franken, dieses Jahr in den neuen Kids-Club, ein neues Fitness- und Pilates-Studio und im kommenden Frühling werden 30 Zimmer saniert.
Das sind immense Zahlen. Wie finanzieren Sie diese Investitionen?
Das geht nur, weil die Besitzerfamilie keine Dividenden zieht und damit jeder verdiente Franken zurück ins Haus fliesst. Das ist einer der Gründe, weshalb das Palace über Jahrzehnte hinweg so vital geblieben ist.
Der Sommer läuft inzwischen fast besser als der Winter. Wie kam das?
Wir haben begonnen, bei unseren Stammgästen über den Sommer zu sprechen. Die Wirkung ist gross. Im August machten wir 40 Prozent mehr Umsatz als im Vorjahr. Der Trend, in die Berge statt an den Strand zu reisen, spielt uns auch in die Hände. Sicherheit, Klima, Platz –all das spricht für St. Moritz.
Haben Sommergäste andere Bedürfnisse als Wintergäste?
Im Winter weiss jeder, was er will: Skifahren, Schnee erleben, feiern. Im Sommer suchen die Leute vielfältige Erlebnisse, oft ausserhalb des Hotels. Rund 65 bis 70 Prozent unserer Sommergäste kommen aus dem Ausland, viele aus Metropolen, die mit dem alpinen Angebot der Schweiz kaum vertraut sind. Für sie ist es enorm hilfreich, wenn jemand die Region übersetzt, und das im besten Sinn des Wortes. Deshalb haben wir mehrere Experience-Curators eingestellt, die mit den Gästen bereits vor der Anreise ihr persönliches Programm gestalten und sie so sanft an das alpine Erlebnis heranführen.
Man darf sich nicht zu ernst nehmen, sonst wird Service steril.
Welche Rolle spielt Humor im Luxuskontext?
Eine grosse. Man darf sich nicht zu ernst nehmen, sonst wird Service steril. Wir arbeiten mit Menschen, für Menschen. Humor schafft Nähe und entkrampft Situationen, im Team ebenso wie mit Gästen.
Sie sagen, manche Gäste seien zu Freunden geworden. Wie nah dürfen Sie als Direktor Ihren Gästen sein?
Auf Augenhöhe, aber immer mit dem Bewusstsein, dass wir Dienstleister sind. Ich sehe mich als Gastgeber und ja, auch als Diener. Das ist nichts Minderwertiges, es ist unsere Aufgabe, Zeit und Geld der Gäste in Erlebnisse zu verwandeln.
Zur Person
Von der «Bilanz» 2025 zum Hotelier des Jahres ausgezeichnet, ist Richard Leuenberger seit 2016 Managing Director des «Badrutt’s Palace» in St. Moritz. Der Absolvent der Hotelfachschule Lausanne arbeitete zuvor für Four Seasons in den USA, Frankreich und Hongkong, für Shangri-La Hotels and Resorts als General Manager in Hongkong sowie für Ritz-Carlton als Area Director of Operations Asia Pacific.
Unter seiner Leitung erzielte das «Badrutt's Palace» Rekordumsätze, gewann internationale Auszeichnungen und investierte in neue Suiten sowie den Paradiso Mountain Club. Geboren in Genf und im Emmental aufgewachsen, ist er verheiratet, Vater zweier Kinder und lebt mit seiner Familie in St. Moritz.
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