Ich möchte zum ersten Mal in einem bestimmten Hotel einchecken. Dazu wird mir ein Tablet gereicht, in das ich meine persönlichen Daten einzutragen habe. Resultat: Hürden beim Eingeben des Datumsformats. Hürden beim Setzen aller notwendigen Häkchen. Gut, dass einem die Fachperson an der Réception zur Seite steht und beim ganzen IT-Prozess hilft, wobei Adrenalinschübe auf beiden Seiten nicht auszuschliessen sind. Ich frage die hilfsbereite Réceptionistin nach dem Nutzen dieses Systems. Sie meint, dass der Aufwand für die Réception insgesamt grösser sei. Aber die Zentrale wünsche das neue Verfahren, weil man digitalisieren möchte. Vielleicht können dort einige Arbeitsschritte eingespart werden – was oft der Fall ist, wenn über Digitalisierung Arbeit an die Kunden delegiert wird. [RELATED]

Es fragt sich: Wem nützt denn die Digitalisierung des Kundenkontakts? Kundenwert definiert sich als relativ wahrgenommener Nutzen. Dieser wird ins Verhältnis gesetzt zu den relativ wahrgenommenen Kosten – materiellen, auch zu messen in Zeiteinheiten, und immateriellen wie Frustration, Gefühl des Nichtgenügens, fehlende Wertschätzung oder Übervorteilung. Das alles sind Effekte, die Kunden im direkten Kontakt mit Plattformen und Software erleben können. Der Nutzen der Digitalisierung wie Zeitersparnis, Flexibilität oder Individualität übertrifft die wahrgenommenen Kosten vor allem bei regel-mässig wiederkehrenden, IT-affinen Kunden, die das System beherrschen oder die entsprechenden Apps konfiguriert haben. 

Digitalisierung darf nicht dazu führen, dass Kundenwert zerstört wird.

Zu den Profiteuren zählen auch Softwareproduzenten und IT-Provider. In vielen Branchen ist die Digitalisierung einfach notwendig, um die Dokumentationspflicht für den Regulator, die Interessen an Daten der Branchenverbände oder im Extremfall der Strafverfolgungsbehörden zu erfüllen. Der Dienstleister, etwa ein Hotel, kann eine Kosteneinsparung erzielen, wenn nach Abzug der Softwarekosten echte Produktivitätseffekte wirken. Dazu müssen Systeme kompatibel sein, auch nach einem der vielen Updates, und durchgängige Informations- und Verwaltungsprozesse müssen funktionieren. Im Übrigen nützt die Digitalisierung auch Mitarbeitenden oder Kunden, die lieber mit Systemen als mit Menschen interagieren.

Der Nobelpreisträger Robert Solow soll bemerkt haben, man sehe Computer überall, nur nicht in den Produktivitätsstatistiken. Mindestens darf Digitalisierung damit bei einem Dienstleister nicht dazu führen, dass Kundenwert – zu messen an der Zahlungsbereitschaft des Kunden, bei der jeweiligen Zielgruppe – zerstört wird. Dabei geht es um die simple Frage: Ist der Kunde bereit, mehr zu bezahlen für die Digitalisierung, beispielsweise dass er die Daten beim Check-in selbst eintragen kann. Oder resultieren wirklich signifikante Einsparungen, die als Preisreduktion auch an die Kunden fliessen könnten? 

Was spürbar Produktivitätsfortschritt schafft, sind Roboter. Auch in der Industrie hat nicht die Digitalisierung von Prozessen, sondern der Einsatz von Robotern die Produktivität wirklich erhöht. Roboter ersetzen dabei nicht menschliche Interaktion, entlasten aber den Dienstleister von Routinearbeiten wie Transport aufs Zimmer oder zur Theke, damit mehr Zeit für die Interaktion bleibt. Unterstützung durch Robotik macht Dienstleistungsaufgaben auch attraktiver für die Arbeitskräfte. Automatisierung, Digitalisierung und Robotisierung sollten immer geleitet sein vom Ziel des Kundennutzens und der Produktivität.  

Thomas Bieger ist Ordinarius für BWL und Tourismus am Institut für Systemisches Management der Universität St. Gallen.