Die jungen Hotelmarken Moxy und Stay Kooook haben einige Kniggeregeln über Bord geworfen und duzen ihre Gäste. Der Aufenthalt wird dadurch persönlicher und unkomplizierter; einige Gäste sagen sogar, sie fühlten sich durch das Du jünger. Die Du-Kultur breitet sich vor allem im jungen Lifestyle-Segment aus, insbesondere bei Neueröffnungen.

Was in Hostels seit langem gilt, schwappt nun in höhere Hotelkategorien über. In der 5-Sterne-Hotellerie ist das Duzen aber noch ein No-Go. Grosse Ausnahme: das «Cervo Mountain Resort» in Zermatt. Dort wird seit 13 Jahren geduzt. «Die Gäste verbringen im Hotel viel Zeit, deshalb kann man auch eine gewisse Nähe leben», sagt Gastgeber Benjamin Dietsche. Ursprünglich wollte es sich mit dem Du von der klassischen Hotellerie abheben und seinem jung gebliebenen Publikum eine lockerere Atmosphäre bieten.

Der richtige Ton macht es aus
Im Design- & Lifestyle-Hotel Cervo steigen hauptsächlich weit gereiste und designaffine Gäste ab. Sie schätzen laut Dietsche den natürlichen Umgangston. Für ältere Generationen sei das Du ein wenig gewöhnungsbedürftig. «Ah ja, im Cervo wird ja geduzt», bekomme er manchmal zu hören. Das biete gerade Stoff für die Fortsetzung des Gesprächs.

Damit das Du nicht flapsig oder abwertend wirkt, gibt es zwei Grundregeln: den richtigen Ton treffen und einen respektvollen Umgang mit dem Gegenüber pflegen.

Das Duzen macht alles viel einfacher. Man ist schneller bei der Sache. Benjamin Dietsche, Gastgeber «Cervo Mountain Resort» in Zermatt

Mit dem Du fallen auch viele Barrieren weg. «Das Duzen macht alles viel einfacher. Man ist schneller bei der Sache», sagt Dietsche. Die Gäste loben öfter, und sie kritisieren schneller, wenn etwas nicht passt. Das sei wertvoll. So könne das Hotel auf die Rückmeldungen sofort reagieren und sich verbessern.

Freundlich und wohlwollend
Ratgeber warnen davor, dass durch die Du-Kultur Hemmungen fallen und so der Ton bei Reklamationen rauer wird und das Niveau sinkt, weil die gesunde Distanz der Höflichkeitsform fehlt. Diese Erfahrung macht das «Cervo» nicht. Der Ton bleibe wohlwollend und freundlich.

Weil die Reklamation nicht erst nach dem Aufenthalt per E-Mail erfolge, könne sie nun vor Ort bei einem Glas Wein behandelt werden. «Wir begegnen uns bei diesen Diskussionen auf Augenhöhe», so Gastgeber Dietsche. Schöner Nebeneffekt: Die Gästebewertungen im Netz fallen besser aus, weil die Gäste zufrieden nach Hause fahren.[RELATED]

Gäste sind keine Freunde
Beim Duzen gibt es einen Bereich, in dem man aufmerksam bleiben muss. Durch den Community-Gedanken im Hotel nähern sich Gastgeber und Gäste an. Dietsche warnt, man müsse trotzdem zwischen Freunden und Gästen unterscheiden, denn Freunde lade man ein, Gäste bezögen eine Leistung und bezahlten dafür. Eine gesunde Distanz sei da sicherlich angebracht.

Trotz all dieser Vorteile ist die Zeit für die Du-Kultur in der klassischen Luxushotellerie noch nicht gekommen. Die Gründe dafür liegen in den sprachlichen und kulturellen Unterschieden der internationalen Gäste. In Deutschland sind Titel den älteren Generationen wichtig. In Frankreich und Italien ist das hierarchische Denken ausgeprägt. Selbst Stammgäste werden noch nach Jahren gesiezt.

In den asiatischen Sprachen gibt es ein ganzes Höflichkeitsspektrum. Ein weiterer Faktor ist die Klassenzugehörigkeit. Luxusgäste gehören zur Elite und geniessen hohes Ansehen. Jean-Yves Blatt, Hotelier des Jahres 2020, ausgezeichnet von der «SonntagsZeitung» bringt es auf den Punkt: «Aus Respekt und Höflichkeit gegenüber unseren Gästen duzen wir diese nicht.»

 


Nachgefragt

Im Aufenthaltsraum des Hotel Stay Kooook Bern City stellt sich Beat Kuhn vor: «Ich bin Beat, ist es recht, wenn wir uns duzen?» Der gebürtige Walliser ist Verfechter der Du-Kultur.[IMG 2]

Beat, weshalb hast du für das «Stay Kooook» die Du-Kultur gewählt?
Wir leben im «Stay Kooook» ein Hotelmodell einer modernen Wohngemeinschaft. Die Gäste leben zusammen mit den Hosts, die sie während ihres Aufenthalts unterstützen und im Idealfall sogar ganz hier wohnen würden, wenn wir das WG-Modell weiterdenken würden.

Früher hiess es, der Gast sei König ...
... und damit die Mitarbeitenden Diener. Für mich ist das schon lange passé. Die Mitarbeitenden in der Hotellerie und Gastronomie müssen einen höheren Stellenwert erhalten. Man muss ihnen mehr Anerkennung schenken. Das erreichen wir, indem wir die unterschiedlichen Ebenen zwischen Gast und Diener aufheben. Mit der Du-Kultur begegnen sich Host und Gäste auf Augenhöhe.

Die Mitarbeitenden müssen einen höheren Stellenwert erhalten. Beat Kuhn, SV-Group

Einzig durch das Duzen?
Im «Stay Kooook» erkennen die Hosts die Bedürfnisse der Gäste auf eine emphatische, kollegiale Art. Sie geben als Ortskundige Tipps, wo es die beste Pizza und die schönste Aussicht auf die Altstadt gibt. Sie kommen damit komplett vom Dienen weg, es ist eher ein freundschaftlicher Austausch zweier Menschen.

Wird sich die Du-Kultur auch bei High-End-Kunden in Gstaad oder St. Moritz durchsetzen?
Da bin ich mir nicht sicher. Ob sie sich konsequent durch alle Schichten ziehen wird? Wahrscheinlich wird es immer verschiedene Bedürfnisse geben. Aber ich glaube, dass die lockere Lifestyle-Hotellerie stärker wird als die klassische.

Weshalb?
Weil die jungen Gäste durch die Digitalisierung jederzeit über alle Informationen verfügen. Sie haben die nötigen finanziellen Mittel und können sich vieles leisten. Sie wählen nicht aus dem Angebot eines Concierge aus, sondern aus allem, was verfügbar ist. Umso wichtiger werden ortskundige Hosts, die die Gäste unterstützen können.


Stimmen zur Du-Kultur in der Hotellerie

Duzen in der Luxushotellerie ist zurzeit noch selten, weil die kulturellen Unterschiede der internationalen Gäste gross sind. In Deutschland beispielsweise sind Titel wichtig.

«Es kommt auf das Konzept an»

Markus Arnold, Restaurant Steinhalle, Bern

«Wir bevorzugen die Du-Kultur, und zwar, weil wir uns damit wohlfühlen. Zum Gästeerlebnis gehört ein sehr respektvoller, professioneller und persönlicher Service auf Augenhöhe. Das schaffen wir, indem wir uns mit Vornamen vorstellen und unsere Gäste höflich mit Vornamen ansprechen. Wer sich damit nicht wohlfühlt, darf uns das gerne sagen, und wir nehmen darauf Rücksicht. Aber das kommt wirklich sehr selten vor. Ob es sich für die Hotellerie eignet, kommt ganz auf Betrieb und Konzept an.»


«Im Business-Hotel nicht»

Markus ConzelmannHotel Radisson Blu, Luzern

«In der Stadthotellerie übernachten die Gäste nicht aus einem inneren Antrieb, sondern weil sie müssen, mit dem Ziel, zu arbeiten. Oft sind sie in einer Funktion unterwegs, als CEO oder Salesmanager beispielsweise. Alles ist strukturiert und distanziert. Deshalb ist die Du-Kultur im Businesshotel nicht angebracht. In den Bergen oder im Sporthotel kann ich mir gut vorstellen, dass sich Mitarbeitende und Gäste duzen. In den Ferien sind alle entspannt, und die Stimmung ist etwas relaxter als bei der Arbeit.»


«Nicht in klassischen Hotels»

Alice Delorme Benites ZHAW Angewandte Linguistik

«Duzen in der Luxushotellerie ist vor allem für ein junges Publikum möglich. Die klassische Hotellerie sollte für bestimmte Gruppen bei der Höflichkeitsform bleiben, weil das für Gäste aus Frankreich, Italien und asiatischen Ländern noch immer wichtig ist. Dort wird Duzen als unseriös und billig verstanden. Das hat auch Ikea bemerkt: Die Website des schwedischen Möbelhauses verzichtet länderübergreifend auf die förmliche Ansprache – ausser in Frankreich, wo die Kundschaft gesiezt wird.»


«In Szene- und Boutique-Hotels»

Bettina Bülte G & B Travel and Hospitality

«Die Du-Kultur ist in der gegenwärtigen Gesellschaft nur bei manchen Hotelkonzepten umsetzbar. Sie wird sich erst mal auf die Szene- und Boutique-Hotellerie beschränken. Deren Klientel ist empfänglich für einen legeren Umgang. Das Du kann in diesen Hotels authentisch vermittelt werden. Im höheren Preissegment ist die Du-Kultur schwerer umsetzbar, da dort das Gästeklientel meist eine andere Demografie hat und eine gewisse Gewohnheit in Bezug auf Formalitäten besteht.»

Blanca Burri