René Schudel, Ihr Konzept für das Restaurant Des Alpes in Interlaken hat das Rennen gemacht. Was hat Sie dazu bewogen sich für den Traditionsbetrieb zu bewerben?

Nach dem tragischen Tod des bisherigen Pächters im letzten Oktober, der einem Tötungsdelikt zum Opfer gefallen war, entschied sich der Gemeinderat, bei der Liegenschaft weiterhin auf Gastronomie zu setzen und diesen beliebten Treffpunkt zu bewahren. Ich habe bei diesem vielfältigen Gebäudekomplex mit unterschiedlichen Elementen die Möglichkeit einer Neupositionierung gesehen: einerseits auf Bewährtes zu setzen, aber auch Neuem Platz einzuräumen. Zudem hat die Pandemie das Kundensegment in Interlaken stark verändert. Individuelle Gäste haben die Gruppen abgelöst. Irgendwann werden die Gruppen wieder zurückkommen, aber wahrscheinlich nicht mehr in dem Ausmass, wie das einmal war. Das hat mir gezeigt, dass es Konzepte braucht, die beide Segmente abdecken können. Zudem hat die Sparte Take-away an Bedeutung gewonnen. So habe ich ein Konzept geschrieben, das all dem gerecht wird.

René Schudel (44) ist Gastrounternehmer, Gastgeber und Fernsehkoch. Er führt das Restaurant Stadthaus in Unterseen BE, macht Gastroconsultings, produziert die Kochsendung «Schudel’s Food Stories» und betreut Projekte wie die Zero Foodwaste Kitchen für Lidl. Kürzlich bekam er den Zuschlag für die Pacht des Restaurant Des Alpes in Interlaken. Der Interlakner Gemeinderat entschied sich für sein Konzept, das auf eine konsequente Neupositionierung setzt. Nach der Kochlehre im Grand Hotel Victoria Jungfrau, Interlaken, war Schudel Küchenchef etwa im Hotel Eden in Arosa und in «Caduff’s Wine Loft» in Zürich, bevor er das «Benacus» in Unterseen übernahm.

Das neue «Des Alpes» beinhaltet eine Brasserie mit Cafébar, Restaurant, Grill, Patisserie und grossem Biergarten. Im ehemaligen Chalet wird es eine vegetarische Tapas-Bar mit Take-away geben. Ein sehr hybrides Konzept also?

Ja, das ist so. Denn ich bin überzeugt, dass wandelbare und vielseitige Lösungen immer wichtiger werden. Rein statische Restaurants werden es immer schwerer haben. Jedes Konzept braucht einige statische Elemente, das ist klar. Das sind im «Des Alpes» die traditionellen Elemente. Die decken wir mit dem Brasserie-Konzept ab. Natürlich mit einem Blick über den Tellerrand und natürlich mit einem modernen Touch. Aber danach braucht es auch eine gewisse Dynamik, um dem heutigen hybriden Gast gerecht zu werden. Auf schönes Wetter können wir mit der Terrasse sehr flexibel reagieren. Die Leute erwarten da heute bereits im Januar Sitzplätze im Freien. Zudem können wir die Brasserie in den Sommermonaten mit dem Biergarten erweitern und ein breites Segment an Gästen ansprechen, im Gegensatz zur Tapas-Bar, die zumindest zu Beginn eher ein Nischenprodukt sein wird. Hier wird es rein vegetarische Tapas geben. Auch als Take-away. Das ist ein Zweig, der in Zukunft noch an Bedeutung gewinnen wird. Früher war Take-away verpönt, heute ist es eine gestandene Gastronomieform. Und dieser Trend wird auch nach der Corona-Krise Bestand haben.

Welches Zielpublikum wollen Sie mit dem «Des Alpes» ansprechen?

Wir wollen «Leute von heute» ansprechen. Das kann das Grosi sein, aber auch ihre Enkel. Ganz wichtig ist mir, dass es keine Schwellenangst gibt. Gastronomie muss für mich zugänglich sein. Da eignen sich das Brasserie-Konzept und der Biergarten sehr gut, um ein möglichst breites Publikum anzusprechen. Auch bei unserem vegetarischen Angebot wollen wir zugänglich sein. In Form der Tapas-Bar ist das Vegetarische sehr smart verpackt, sodass es eigentlich fast nicht auffällt. Interlaken war bis anhin im vegetarischen/veganen Bereich sehr schwach aufgestellt. Das wollen wir ändern. Aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger, sondern eben smart verpackt.

Das ehemalige «Des Alpes» war eine Institution mit viel Tradition. Am Sonntagnachmittag etwa ging man für einen Coupe oder eine Glace dorthin. Schneiden Sie nun alle alten Zöpfe ab, oder kann man am Sonntagnachmittag im «Des Alpes» weiterhin Coupes essen gehen?

Werte zu vernichten, ist für mich der schlechteste Ansatz. Soweit diese mit unserer Philosophie in Einklang stehen, versuche ich, Werte immer zu erhalten. Wir werden das Coupe- und Glaceangebot sicherlich nicht telquel so übernehmen, aber den Inhalt nehmen wir auf. Das ist ein Wert, der auch eine schlüssige Struktur ergibt.

Am 23. März kommt das Projekt noch vor den grossen Gemeinderat. Danach kann es losgehen?

Natürlich möchten wir alle so schnell wie möglich aufmachen. Das ist klar. Einerseits müssen wir das Projekt von null aufbauen. Das ist sehr aufwendig und komplex. Denn wenn wir etwas machen, dann wollen wir es richtig machen. Andererseits muss das Projekt durch alle Abläufe, von der Finanzierung bis zu den Baubewilligungen. Das geht einfach so lange, wie es geht. Was wir voraussichtlich machen werden, ist eine schrittweise Eröffnung. Denn wir wollen ganz klar ein Zeichen setzen. Das ist für unsere Gäste unheimlich wichtig, die nun seit Monaten nicht mehr ins Restaurant konnten. Und dabei geht es uns nicht um den wirtschaftlichen Aspekt, sondern ganz klar um eine Botschaft an unsere Gäste. Wir wollen signalisieren: Es geht weiter. Im Juni, spätestens im Juli dann. Wie schnell es danach geht und wie viele Einheiten wir aufs Mal aufmachen, das ist im Moment Kaffeesatzleserei. Kar ist jedoch, dass wir als Erstes die Tapas-Bar öffnen möchten. Denn das wird das Konzept sein, welches am meisten «Pflege» brauchen wird. Dann ist es unser Ziel den Biergarten auf den Sommer hin zu öffnen. Und am Schluss dann die Brasserie. Denn dieses Konzept braucht am meisten Zeit. Spätsommer ist unser Ziel.

In der Brasserie spannen Sie den Bogen von Marseille bis Wien. Wie kann man sich das vorstellen?

Ich habe mir zwei Routen vorgestellt, eine Nord- und eine Südroute. Wenn man die beiden abfährt, hat man unzählige Schnittstellen. Selbstverständlich mit der Schweiz als Zentrum. Und so haben wir unterwegs die besten Geschichten rausgepflückt. Das ergibt sehr schnell ein sehr schlüssiges Konzept als Struktur. Wie wir diese Struktur umsetzen und sie interpretieren, ist noch offen.

Wie schlägt sich dieser geografische Bogen in der Produktwahl nieder?

Regionalität und Saisonalität sind für uns selbstverständlich. Worauf wir zusätzlich Wert legen, ist das beste Produkt und die beste Handhabung des Produktes. Wenn wir also ein Produkt finden, das nicht neben unserer Haustür wächst, aber bedeutend besser schmeckt, dann entscheiden wir uns für dieses. Die Spannweite liegt dabei ganz klar zwischen Marseille und Wien. Man kann also sagen, der Alpenraum ist unser kulinarischer Garten. Bis auf die Tapas-Bar. Dort setzen wir auf eine spanische Weinauswahl.

Einerseits verändern sich Trends immer schneller, andererseits gewinnt das Traditionelle an Wert. Ist die Brasserie im Konzept «Des Alpes» der Fels in der Brandung der Trends?

Die Brasserie-Komponenten werden sehr traditionell sein. Das ist so. Denn ich bin überzeugt, dass jedes Konzept ein «Mothership» braucht, woraus alles entstehen kann. Dort halten wir die Tradition aufrecht, aber in einer modernen Form. Und wir versuchen, auch im Traditionellen Trends zu setzen und nicht nur aufzunehmen.

Sie führen ja noch das Restaurant Stadthaus in Unterseen, in der Nähe von Interlaken. Wie sehen Sie die Forderung, die Restaurants so schnell wie möglich zu öffnen?

Ich bin gegen eine allzu schnelle Öffnung. Jetzt haben wir so lange durchgehalten. Ich denke, es wäre unvernünftig, jetzt zu schnell zu öffnen. Denn langsam sehen wir ein Licht am Ende des Tunnels. Wir sehen, dass die Massnahmen in anderen Ländern greifen. Ich fände es schade, die ganzen Anstrengungen jetzt einfach aufs Spiel zu setzen. Die Situation ist noch sehr, sehr fragil. Ich plädiere fürs Abwarten, und dann aber fürs richtig Aufmachen. Denn nur ein bisschen Terrassenöffnen käme zudem einem wirtschaftlichen Genickschuss gleich. Solche Hauruckaktionen verträgt es aktuell noch nicht. Es ist jetzt wichtig, dass wir noch etwas durchhalten. Aber eben, ich bin kein Epidemiologe.

Wie sind Sie mit dem «Stadthaus» in Unterseen durch die Corona-Krise gekommen?

Obwohl wir dank der Kurzarbeit relativ gut durch die Krise gekommen sind, hat es auch uns hart getroffen. Wir wurden durch die Pandemie wirtschaftlich ein bis zwei Jahre zurückgeworfen. Die Reserven, die wir für andere Projekte aufgebaut hatten, sind nun aufgebraucht. Doch jammern ist die falsche Strategie, zurückzublicken ebenfalls. Es gibt nur einen Weg: vorwärtsschauen.

Wie beurteilen Sie die Unterstützung der gesamten Gastrobranche durch Bund und Kantone?

Das Instrument der Kurzarbeit ist ein Segen. Diese hat uns erlaubt, seit Dezember 100 Prozent der Löhne auszuzahlen. Die Covid-Kredite im ersten Lockdown wurden meines Erachtens etwas gar dynamisch ausbezahlt. Dort gab es etwas gar wenige Abklärungen. Die Härtefallregelung hingegen empfinde ich nun als sehr kompliziert. Ich habe das Glück, dass ich in meinem Betrieb Leute habe, die das ganze Administrative für mich erledigen. Aber für kleine Betriebe, die in echten wirtschaftlichen Nöten stecken und sich dann auch noch durch die ganze Administration kämpfen müssen, ist das schon hart. Aber insgesamt haben wir in der Schweiz – gerade im Vergleich zu anderen Ländern – sehr gute Unterstützungsmassnahmen.

Sie produzieren ja auch noch Ihre Foodsendung «Schudel’s Food Stories», die auf Pro Sieben läuft. Wie hat Corona dieses Feld tangiert?

Von der Quote her im positiven Sinne, vom Aufwand der Produktion her im negativen Sinne. Wir produzieren zweimal im Jahr, im Frühling und im Frühherbst. So hat es uns gleich zweimal erwischt. Da wir bei den Aufnahmen sehr nahe an den Leuten dran sind, war es schwierig, Protagonisten zu finden, die mit von der Partie waren.

In der Corona-Zeit wurde landauf, landab gekocht, was das Zeug hält. Herr und Frau Schweizer entdeckten den heimischen Herd für sich. Darf man bald mit einem zweiten Kochbuch von Ihnen rechnen?

Nein. (lacht) Also, doch. Seit sieben Jahren bin ich an meinem zweiten Kochbuch. Und mehr als das Vorwort und das Inhaltsverzeichnis stehen immer noch nicht. Wir haben immer wieder angefangen, und dann kamen wieder so viele neue Projekte dazu. Wie etwa das Projekt Zero Foodwaste Kitchen mit Lidl, das wir vor einem Jahr ins Leben riefen und welches sehr erfolgreich ist. Dann die Sendungen. Zudem bin immer noch operativ tätig im Restaurant Stadthaus. Natürlich nicht mehr am Kochherd wie vor zehn, fünfzehn Jahren. Und jetzt das Projekt Des Alpes. Aber ich möchte gerne ein weiteres Kochbuch machen. Das ist das Erste, was wir immer schieben, das Kochbuch. So muss ich wenigstens nicht irgendwann ein Best-of machen. Es gibt dann einfach ein zweites Kochbuch.

Nochmals zum «Des Alpes». Was macht das Projekt für Sie aus?

Das «Des Alpes» wird für mich ein Herzensprojekt. Ich sehe es als meine Verpflichtung, dieses Projekt in den nächsten Jahren so zu positionieren, dass es einen Wow-Effekt auslöst. Das wird ein sehr persönliches Projekt für mich. Ich bin nun seit knapp 30 Jahren in der Gastronomie, inklusive Lehrzeit. Hier kann ich nun alle meine Erfahrungen einfliessen lassen. Ich kann Elemente des Restaurant Benacus aufnehmen, das ich in Unterseen während 16 Jahren führte. Ich nehme die Tapas-Kultur und die vegetarische Philosophie in der Tapas-Bar auf. Und ich integriere die Brasserieküche, die mein absoluter Favorit ist, mit einem Touch New York City, mit einem Touch Frankreich, mit einem Touch Italien, mit einem Touch München. So kann ich das Kosmopolitische mit dem Urigen verbinden. Dadurch ergibt das Ganze eine äusserst zugängliche Gastronomie. Mit meinen 44 Jahren kann ich mich im «Des Alpes» nochmals mit vollem jugendlichem Elan hineingeben, aber auch mit viel Erfahrung. Und ich kann nun der Region, die mir viel gegeben hat, ebenfalls viel zurückgeben.

Es wird also demnächst kein weiteres Projekt geben?

Mein Fünfjahreszielplan ist im Moment gut ausgefüllt. Aber ich sage niemals nie. (schmunzelt) Man muss Projekte dann nehmen, wenn sich kommen, nicht wenn man sie möchte.