Ich tanze nicht. Mein Mann würde sagen: zum Glück. Trotzdem erzähle ich jungen Frauen, dass Laufbahnen wie ein Cha-Cha-Cha funktionieren: ein Schritt zur Seite, einer nach vorne, manchmal einer zurück. Sie sind selten ein gerader Weg, sondern oft einer mit Tempo- und Richtungswechseln. Genau so verlief auch meine Karriere in der Hotellerie. Besonders deutlich wurde mir das beim Konkurs des Swissôtel Basel. Mir wurde bewusst, dass man Führung in Krisenzeiten erst «on the job» lernt und nicht an der Hotelfachschule.
Die Schliessung des Hotels war ein tiefer Einschnitt – für das Team und für mich. Viele suchten sich neue Jobs, ich selbst stand plötzlich ohne Aufgabe da. In solchen Momenten helfen keine Durchhalteparolen. Ich habe früh offen kommuniziert, Fragen zugelassen und zugegeben, wenn ich keine Antwort hatte. Rückblickend war das eine harte, aber lehrreiche Zeit. Ich habe gelernt, dass Führung nicht darin besteht, die Kontrolle zu behalten, sondern darin, Halt zu geben, wenn die Kontrolle fehlt.
Seit dem Umbau leite ich dasselbe Haus als Basel Marriott Hotel mit 239 Zimmern und 80 Mitarbeitenden. Dabei orientiere ich mich an modernen Leadershipmodellen wie der «Transformationalen Führung» von Bernard M. Bass und «Servant Leadership» von Robert K. Greenleaf: Ich zeige Ziele auf, erkläre deren Sinn und fördere Eigenverantwortung. Führung bedeutet für mich nicht, Recht zu behalten, sondern andere wachsen zu lassen. Diese Haltung bewährt sich besonders in einem vielfältigen Team mit Lernenden, Pensionierten, Quereinsteigerinnen und Eltern. Führung bedeutet hier auch, Raum für Diversität zu schaffen, weil Unterschiede Teams stärker und innovativer machen.
Führung ist wie Qualität: Sie darf kein Zufall sein.
In dieser Diversität ist die Kommunikation für mich der Schlüssel zum Erfolg. Gerade weil viele Mitarbeitende wenig oder kein Deutsch sprechen, setze ich auf einfache, visuelle Kommunikation: Piktogramme sowie klare und konkrete Botschaften. Ein konkretes Beispiel ist der Umgang mit Food-Waste: Wir messen anfallende Speisereste mit der KI «Kitro». Damit machen wir sichtbar, wo in der Planung der Speisezubereitung Optimierungspotenzial besteht. Indem wir transparent erklären, warum es wichtig ist, Food-Waste zu reduzieren, fördern wir das Verständnis und schaffen Akzeptanz. Die Mitarbeitenden sehen, dass es um Zusammenarbeit und Verbesserung geht, nicht um Kontrolle.
Dennoch bleibt Führung anspruchsvoll. In meiner ersten Führungsrolle mit 21 war ich Teamleaderin von 30 Mitarbeitenden. Viele davon waren älter als ich. Diese Position zeigte mir meine Grenzen deutlich auf. Ich war impulsiv und glaubte, Autorität komme durch Härte. Aber das führte dazu, dass Fehler verheimlicht wurden.
Heute weiss ich, dass Fehler nicht Schwäche, sondern Stärke bedeuten. Wer Fehler offen anspricht, schafft Vertrauen und ermöglicht Lernen. Diese Erkenntnis veränderte meinen Umgang mit Mitarbeitenden grundlegend. Sie machte mich auch offener für Quereinsteiger: Als wir während der Pandemie einen Nachtportier suchten, meldete sich unser Casserolier. Er bildete sich intern weiter und trat die Stelle schliesslich an. Er wurde bei der Schliessung ins 5-Sterne-Hotel Les Trois Rois in Basel abgeworben, kehrte aber in unser 4-Sterne-Haus zurück, sobald wir wieder öffneten. Das hat mich erstaunt und gefreut. Diese Geschichte symbolisiert, dass es wichtig ist, nicht an Titeln oder Positionen festzuhalten, sondern auf Potenziale und Entwicklungen vertraut.
Doch auch Offenheit und Vertrauen brauchen klare Grenzen. Nach der Wiedereröffnung des «Basel Marriott» war erst der Aufbau des neu zusammengesetzten Teams wichtig. In letzter Zeit stelle ich aber fest, dass zu viel Nachsicht lähmt. Führung verlangt Mut, Erwartungen klar zu formulieren und einzufordern. Gerade Frauen in Führungspositionen wird oft vermittelt, sie müssten stets Verständnis zeigen. Doch wer Verantwortung trägt, muss auch Orientierung geben und verbindliche Regeln aufstellen. Klarheit schafft Vertrauen, und Vertrauen ermöglicht wiederum flexible Arbeitsmodelle, die Familie und Beruf vereinbar machen. Solche Modelle funktionieren allerdings nur, wenn nicht allein der Betrieb Verantwortung übernimmt, sondern auch die Mitarbeitenden.
Mit mittlerweile 47 Jahren führe ich bewusster und strategischer. ‹Wenn etwas wert ist, zu tun, dann ist es auch wert, richtig getan zu werden›, sagte meine Mutter oft. Heute bedeutet dies für mich: Nicht alles gleichzeitig angehen, sondern bewusst priorisieren. Ich nehme mir Zeit, Netzwerke aufzubauen und zu pflegen, etwa durch die ‹Ladies Night› der Baseler Hotellerie. Netzwerke sind für mich keine Bühne, sondern ein Garten, der kontinuierliche Pflege braucht. Der Austausch auf Augenhöhe hilft mir bei der Reflexion meiner Herausforderungen und Ideen. Die gegenseitige Unterstützung stärkt und fördert die Resilienz.
Von aussen betrachtet wirkt meine Karriere vielleicht linear und klassisch, sie könnte als erfolgreich bezeichnet werden. Doch wer genauer hinschaut, erkennt den Rhythmus, die Schritte zur Seite, nach vorne und zurück. Der Cha-Cha-Cha gehört allen, die ihren eigenen Führungsstil suchen und den Mut haben, ihn authentisch zu leben.
General Manager mit Profil
Die gebürtige Berlinerin Angela Lilienthal kommt aus der internationalen Markenhotellerie. Seit Juni 2022 ist sie General Manager des 4-Sterne-Hotels Basel Marriott. Sie war General Manager im Hotel Sofitel Berlin Gendarmenmarkt und zuletzt des Swissôtel Le Plaza Basel. Sie ist Vorstandsmitglied bei Basel Tourismus, bei HotellerieSuisse Basel und Region sowie Vizepräsidentin der Hotel Sempachersee AG, einer Tochtergesellschaft der Schweizer Paraplegiker‑Stiftung.
Perspektiven: Frauen aus der Hotellerie erzählen, wie sie führen, gestalten und fördern.
