In Vorstädten verdrängen reiche Zuzüger die angestammte, weniger kaufkräftige Bevölkerung – ein sozioökonomischer Prozess, der als Gentrifizierung bezeichnet wird. Dieser Prozess spielt auch in der Schweiz, wenn beispielsweise im ehemals ländlichen Zug und in Ausserschwyz traditionelle Einwohnergruppen im Wettbewerb um den immer teureren Wohnraum mit kaufkräftigen Zuzügern nicht mithalten können. Eigentlich ist das ein Ausdruck positiver wirtschaftlicher Entwicklung.

Die Ferienorte der Kindheit im Voralpengebiet sind heute dank verbesserter Verkehrsinfrastruktur, Freizeitwert und in der Zentral- und Ostschweiz auch dank günstiger Steuern attraktive Wohnorte. Der traditionelle Ferientourismus wird durch «residentielle Ökonomie» verdrängt. Menschen mit hohen Löhnen aus produktiveren Branchen sind bereit, für die Flächen mehr zu bezahlen.

Die Ferienorte der Kindheit sind heute attraktive Wohnorte.

Genau hier liegt die Herausforderung für den Tourismus in einem erfolgreichen Wirtschaftsland. Wirtschafts- und Lohnwachstum in hochproduktiven Sektoren befördern Fachkräftemangel, in der Folge Zuwanderung, Verteuerung von Wohnraum und Engpässe bei Verkehrs- und Freizeitinfrastrukturen. Saisonal ausgerichtete Hotellerie mit ihrer niedrigeren Rendite, Hotel­angestellte mit vergleichsweise tieferen Löhnen, Mietautos auf den schon überlasteten Strassen, Touristen mit grossem Gepäck in Pendler- und Fernverkehrszügen, Instagrammer an Naturorten, die schon durch Freizeitaktivitäten der wachsenden Bevölkerung ausgelastet sind – hat das alles noch Platz?

Tourismus bietet auch einem hoch entwickelten Wirtschaftsstandort Vorteile: Image und Bekanntheit, Freizeitinfrastrukturen, die durch die auf Spitzenzeiten ausgerichtete Nachfrage der Einheimischen allein nicht finanziert werden können, Infrastrukturen für Geschäfts-, Seminar- und den für eine internationalisierte einheimische Bevölkerung wichtigen «Visit Friends and Relatives»-­Tourismus. Und er ist in seinen produktiven und rentablen Formen immer noch ein relevanter Wirtschaftsfaktor. International ausgerichtete Destinationen mit geringer Saisonalität wie die Jungfrauregion in Verbindung mit Betriebsformen, die durch Automatisierung und Robotik unterstützt werden, ermöglichen die im Wettbewerb mit anderen Branchen notwendige Produktivität, Flächenerträge sowie letztlich Gehaltsperspektiven. 

Dass Tourismus an vielen Orten verdrängt und als Overtourism wahrgenommen wird, ist Zeichen des wirtschaftlichen Erfolges des Landes. Vor diesem Hintergrund ist die bestehende Aufgabenstellung für die staatliche Tourismusförderung zu hinterfragen und allenfalls zu adjustieren.

Thomas Bieger ist Ordinarius für BWL und Tourismus am Institut für systemisches Management der Universität St. Gallen.