Das Signal zur Durchfahrt des ersten Zuges durch den neueröffneten Tunnel gab SBB-CEO Vincent Ducrot gemeinsam mit dem CEO der Erbauerin AlpTransit AG (ATG), Dieter Schwank. Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga – ganz tessinerisch in Rot-Blau gekleidet – durchschnitt das rote Band, begleitet von den Worten «Viva il treno, viva il Ticino, viva la Svizzera!».

Kurz vor 11 Uhr hatte die Bundespräsidentin gemeinsam mit dem Tessiner Bundesrat und Aussenminister Ignazio Cassis in einem Sonderzug von Norden her den Festplatz in Camorino erreicht. Der Tessiner Regierungspräsident Norman Gobbi fuhr in einem Tilo-Zug von Locarno her vor. Aufgrund der Coronavirus-Pandemie musste die Gästezahl im Festzelt auf 45 beschränkt werden.

In 15 Minuten nach Lugano
In ihrer Rede unweit des Ceneri-Nordportals erzählte Simonetta Sommaruga von ihrer Kindheit. Damals habe sie fast alle Ferien im Tessin verbracht, und zwar in Bellinzona, also im Sopraceneri – obwohl der Heimatort ihrer Familie im Sottoceneri liege.

«Die Reise nach Lugano dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Sie führte über den Berg, den Monte Ceneri», erinnerte sich Sommaruga. Statt über den Berg gehe es jetzt durch den Berg. «Wer von Bellinzona nach Lugano fährt, braucht nur noch 15 Minuten.»

Der Ceneri-Tunnel stärke den öffentlichen Verkehr – «und er stärkt das Tessin», fuhr die Bundespräsidentin fort. Der Tunnel bringe die Schweiz näher zusammen.

Raum für weitere Tunnel-Zufahrt
Der Ceneri-Basistunnel sei zusammen mit Gotthard und Lötschberg «das Herzstück des wichtigsten Bahnkorridors zwischen Nordsee und Mittelmeer», fuhr Sommaruga fort. Einer der vielen Pfeiler des Bahn-Viadukts vor dem Nordportal nenne man «la Ballerina», erzählte die Bundespräsidentin. Dieser Pfeiler sei etwas schmaler als die anderen, und er drehe sich leicht.[IMG 2]

«La Ballerina» sei extra so gedreht, dass spätere Generationen eine weitere Zufahrt zum Ceneri bauen könnten. «Das ist klug, weitsichtig, vorausschauend: So wollen wir weiterhin unsere Verkehrspolitik gestalten», schloss die Bundespräsidentin.

Mit Leichtigkeit von Locarno nach Lugano
Der Tessiner Bundesrat Ignazio Cassis bezeichnete die Tunnelerbauerin AlpTransit Gotthard AG als «Klebestoff», der die Schweiz zusammenhalte. So verbinde der Ceneri-Basistunnel das Reich des Luganeser Stadtpräsidenten Macro Borradori (Lega) mit jenem von Mario Branda (SP), Stadtpräsident von Bellinzona.

Dank den schnelleren Verbindungen ab Mitte Dezember könne man künftig zwischen dem Festival del Film in Locarno und dem Estival Jazz in Lugano munter hin- und herhüpfen, prophezeite Cassis. (sda)


Eröffnung des Ceneri-Basistunnels vollendet ein epochales Projekt

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Mit der Eröffnung des Ceneri-Basistunnels verkürzt sich die Reise von Zürich nach Lugano um rund eine Viertelstunde auf noch knapp zwei Stunden. Die Fahrt von Zürich nach Mailand dauert noch drei Stunden 17 Minuten gegenüber bisher drei Stunden 40 Minuten.

Zudem erhält der Kanton Tessin im Dreieck Bellinzona-Locarno-Lugano eine neue S-Bahn. Die Fahrzeit zwischen Lugano und Locarno wird durch die neue Direktverbindung 30 Minuten kürzer.

Am 13. Dezember 2020 soll der Ceneri-Basistunnel mit dem ersten Zug von 06.00 Uhr ab Lugano Richtung Norden in Betrieb genommen werden. Der Tunnel ist 15,4 Kilometer lang und verbindet Camorino bei Bellinzona mit Vezia bei Lugano. Bis zur Inbetriebnahme werden noch Probefahrten mit kommerziellen Güter- und Personenzügen durchgeführt.

Flachbahn durch die Alpen
Die Neat wurde mit dem Ziel gebaut, den Gütertransport auf die Schiene zu verlagern. Das Schweizer Stimmvolk hatte dies Anfang der 1990er Jahre – auch zum Schutz der Alpen – so gefordert. Als offizieller Neat-Baubeginn gilt die erste Sprengung am Lötschberg vom 5. Juli 1999.

Mit der Fertigstellung des Tunnels durch den Monte Ceneri nach zwölf Jahren Bauzeit sind nun alle Basistunnels bereit. Der 34,6 1 Kilometer lange Tunnel durch den Lötschberg wurde 2007, jener durch den Gotthard (57 Kilometer) im Jahr 2016 in Betrieb genommen.

Damit hat die Schweiz eine Flachbahn durch die Alpen: Dank den drei Basistunnels ist die Steigung für die Züge geringer. Diese brauchen am Gotthard und am Ceneri keine zusätzlichen Lokomotiven mehr. Zudem sind längere Züge möglich. Das spart Geld und Zeit.

Lösung im Zentrum Europas
Die Schweiz liegt im Zentrum des europäischen Güterverkehrs. Ein Ziel der Neat war es daher auch, diese Rolle zu stärken und einen Beitrag für einen europäischen Schienenkorridor zur Bewältigung des Verkehrswachstums auf europäischer Ebene zu leisten.

Mit der Eröffnung des Ceneri-Basistunnels wird nun auch der internationale Vier-Meter-Korridor vollendet. So können Container, Sattelauflieger und andere Güter mit einer Höhe von vier Metern zwischen Rotterdam im Norden durchgehend per Bahn bis in die grossen Terminals in Genua transportiert werden. Die Kosten für einen durchschnittlichen Gütertransport zwischen Nord- und Südeuropa werden gemäss Behördenangaben um rund acht Prozent sinken.[IMG 4]

Erfolg dank Finanzfonds
Gekostet hat die Neat rund 23 Milliarden Franken. Das Bauwerk wurde mit einem zweckgebundenen Fonds finanziert, der unter anderem durch die Schwerverkehrsabgaben gespeist wurde. Dank diesem Fonds und einer rollenden Planung - also einem schrittweisen Vorgehen – konnte das Gross-Projekt realisiert werden, auch wenn geologische Gegebenheiten immer wieder neue Herausforderungen stellten.

Damit die Neat die volle Wirkung entfalten kann und die zusätzlichen Kapazitäten genutzt werden können, müssen aber auch die Zufahrtsstrecken in den Nachbarländern passen. Die Schweiz hat sich daher an der Finanzierung dieser Projekte beteiligt, damit sie schneller realisiert werden konnten.

Nadelöhr in Deutschland hemmt noch
Während in Italien diese Arbeiten weitgehend fertig sind, besteht in Deutschland noch Handlungsbedarf. So müssen Teile der Strecke zwischen Karlsruhe und Basel noch von zwei auf vier Spuren ausgebaut werden. Mit einem durchgehend vierspurigen Betrieb wird um das Jahr 2040 gerechnet. Grund für die lange Dauer sind unter anderem zahlreiche Einsprachen von Anwohnern.

Auch in der Schweiz wird noch weitergebaut. Im Lötschberg-Tunnel sollen die Kapazitäten im Ausbauschritt 2035 weiter vergrössert werden. Studien sollen zudem aufzeigen, wie die Neat im Süden Richtung Chiasso weitergeführt werden kann. Zudem soll mit Frankreich ein Staatsvertrag abgeschlossen werden, um die Strecken auch auf der anderen Seite des Rheins für grosse Transporte auszubauen.

Mit der Eröffnung des Ceneri-Basistunnels ist aber die Neat, das grösste Schweizer Verkehrsprojekt der letzten Jahrzehnte, nach rund 20 Jahren vollendet. (sda)