Einst galt das Grand Hotel Regina als Nobeladresse in Grindelwald. Doch die Hoch-Zeiten der Belle Epoque sind längst passé. Heute schüttelt manch einer beim Anblick des über 125-jährigen Hotels am Dorfeingang nur noch den Kopf. Seit acht Jahren steht das ehemalige Flaggschiff der Grindelwalder Hotellerie leer.

Dabei war die Besitzerin Grand Hotel Regina-Grindelwald AG nach der Hotelübernahme zuversichtlich. 2012 präsentierte man grosszüge Umbaupläne für einen Hotelkomplex mit 246 Gästebetten und fünf luxuriösen Apartment-Chalets. Das Investitionsvolumen wurde auf rund 130 Millionen Franken veranschlagt. Die Gemeindeversammlung unterstützte das Projekt – die Investoren- und die Betreibersuche erwiesen sich als Sisyphusarbeit.

Nun zieht sich die Grand Hotel Regina-Grindelwald AG nach zehn fruchtlosen Verhandlungsjahren zurück. Am 9. September kommt das Grand Hotel unter den Hammer. Über die Hintergründe äussert sich Verwaltungsratspräsident Tobias Reinhard auf Anfrage nicht.

Die Regina-Versteigerung ist der Anfang eines hoffentlich positiven Neustarts.

Stefan Grossniklaus, Präsident HotellerieSuisse Berner Oberland und Grindelwald Hotels

Zu wenige Hotelbetten bei steigender Gästenachfrage
Der Verkehrswert des Versteigerungsobjekts wird auf 4,07 Millionen Franken geschätzt, mehr als die Hälfte des amtlichen Werts. Hinzu kommen, in separatem Verkauf, millionenschweres Bauland sowie Hotelinventar und Kunstobjekte. Die Baubewilligung ist bis November 2023 gültig, das Bauprojekt ist nicht Teil der Versteigerung. Grindelwalds Tourismusdirektor Bruno Hauswirth hofft, dass «nach jahrelanger Passivität Bewegung und Betriebsamkeit in das Projekt gelangt».

Ein weiteres Hotel, gerade im 4- oder 5-Sterne-Bereich – heute ist das Romantik Hotel Schweizerhof das einzige 5-Sterne-Haus im Ort –, würde einen Mehrwert bedeuten und den hohen Ansprüchen der Gäste entsprechen, so Hauswirth. Die aktuellen Logiernächtezahlen geben ein klares Bild ab. Grindelwald verzeichnete im ersten Halbjahr 2022 eine Bruttobettenauslastung von knapp 60 Prozent (301 528 Logiernächte) und erreichte Vor-Corona-Niveau.

Eine konkrete und zukunftsweisende Lösung sei wichtig, so Gemeindepräsident Beat Bucher (parteilos). Doch stellten sich die Einheimischen die Frage, ob es noch mehr Touristen brauche und welche Auswirkungen diese auf die Gemeindeinfrastruktur hätten. Mehr Hotelbetten setzten auch mehr Mitarbeiterunterkünfte voraus. Der Wohnraum im Eigerdorf sei aber knapp und teuer. Bucher nimmt die Hotellerie in die Pflicht. «Investoren und Hoteliers müssen sich zwingend mit der Wohnraumsituation für ihre Angestellten auseinandersetzen.»

Wir beobachten die Entwicklung rund ums ‹Regina› schon länger intensiv.

Urs Hoffmann, CEO Baulink AG

Bei einem Nichtverkauf dürfte es künftig schwierig werden
Jemand, der die «Regina»-Versteigerung genau verfolgen wird, ist Jungfraubahnen-CEO Urs Kessler. Die Frage, ob das Berner Oberländer Bahnunternehmen selbst in die Hotelbranche einsteigen werde, verneint er: «Wir investieren nicht in Hotels.» Als Landeigentümerin behalte man sich dennoch vor, Investoren «Land an guten Standorten zu attraktiven Preisen» zu verkaufen.

So verfolgen die Jungfraubahnen aktuell zwei konkrete Hotelprojekte. Jenes beim Grindelwald Terminal richtet sich an Wintersport- und Ausflugsgäste, die mit dem Zug anreisen; beim Projekt in Interlaken-Ost steht die Anbindung an den ÖV in die Täler im Vordergrund. Laut Urs Kessler gilt für beide Vorhaben: «Wir möchten mindestens eine internationale Hotelkette am einen oder anderen Standort.» Damit wäre eine weltweite Verkaufsdistribution gegeben.

Ob es beim Terminal zum Spatenstich kommt, hängt auch von der Entwicklung ums Grand Hotel Regina ab. Bevor die bestehenden Hotelaltlasten im Dorf nicht getilgt sind, dürften Kesslers Pläne kaum die nötige Zustimmung der Gemeindeversammlung erhalten. Zu oft wurde Grindelwald mit Versprechungen um Hotelprojekte hingehalten. Seit der V-Bahn-Eröffnung nahmen die Hotelbautätigkeiten im Dorf allerdings zu. Nach langem Warten eröffnete 2021 das 4-Sterne-Superior-Hotel Bergwelt, Ende dieses Jahres folgt das Hotel Fiescherblick.

Die Jungfraubahnen konnten für ihre Pläne bereits die Baulink AG gewinnen. Ob diese auch beim «Regina» mitbietet? Baulink-CEO Urs Hoffmann gibt sich bedeckt: «Wir beobachten die Entwicklung ums ‹Regina› wie auch andere Projekte in Grindelwald schon länger intensiv und werden dies auch weiterhin tun.»


Nachgefragt bei Stefan Grossniklaus, Präsident HotellerieSuisse Berner Oberland und Grindelwald Hotels [IMG 4]

Mit welchem Gefühl sehen Sie der Versteigerung des Grand Hotel Regina in Grindelwald entgegen?
Ich finde es positiv, dass endlich etwas stattfindet und erneut Bewegung ins Projekt «Regina» kommt. Die Versteigerung ist der Anfang eines hoffentlich positiven Neustarts.

Was muss der nächste Besitzer mitbringen – für die Destination Grindelwald, aber auch für deren Hotellerie?
Ganz bestimmt das dringend benötigte Kapital. Das «Regina» steht an bester Lage, und daraus darf und muss etwas Schönes entstehen – für die Destination wie auch für die Hotellerie.

Warum ist das so wichtig?
Die Altlasten können nur durch einen Neustart verschwinden. Wir müssen vorwärtsschauen und dem neuen Eigentümer eine positive Zukunft aufzeigen – und dass es sich lohnt, in Grindelwald zu investieren. Die Destination hat sich in den letzten 10, 15 Jahren sehr stark weiterentwickelt. Alle touristischen Leistungsträger in der Destination investieren kontinuierlich in die Qualitätssteigerung. Um die gewünschte Qualität zu erreichen, braucht es auch Investitionen in Grossprojekte, die einen Mehrwert für alle Stakeholder bedeuten.

Geht die Qualitäts- mit einer Quantitätssteigerung einher?
Der Gästemix in Grindelwald stimmt und ist auch künftig krisenresistenter als in anderen Destinationen. Wir brauchen ihn, um die Bruttobettenauslastung halten zu können. Die Hotelbettenkapazität hat sich in den letzten 15 Jahren nur um circa 10 Prozent auf gegenwärtig rund 2900 Betten erhöht. Die Wertschöpfung durch Hotelgäste ist für alle Leistungsträger sehr hoch und geschieht schon länger nicht mehr nur in der touristischen Hochsaison. Deshalb sind weitere Hotelbetten essenziell.

Gibt es bezüglich einer ausländischen Übernahme Bedenken?
Da habe ich keine Bedenken, aber es wäre natürlich wünschenswert, einen lokalen Investor zu haben.

Das Grand Hotel Regina im Lauf der Zeit
1896–1930: Bau und Eröffnung
Das Grand Hotel Regina in Grindelwald wurde als Hotel Alpenruhe in drei Etappen von der Ulrich Bohren-Wettach errichtet. 1896 feierte man im Mittelbau Eröffnung. 1910 folgte der rechte Flügel, 1930 schliesslich der linke. Bereits 1913 wurde aus dem Hotel Alpenruhe das Regina Hotel Alpenruhe. Es verfügte als erstes Hotel in Grindelwald über eine Zentralheizung, einen Ball- und Theatersaal und eine Eisbahn. Gutbetuchte Gäste, zu Beginn meist Engländer, weilten Sommer wie Winter im Regina Hotel Alpenruhe, manchmal gar monatelang, und genossen Vollpension.
1954: Alpenruhe wird Regina
1954 übernahm Alfred Krebs-Wirz das Regina Hotel Alpenruhe. Ein Jahr später erfolgte die Verwandlung zum Grand Hotel Regina, dem ersten Grindelwalder Hotel im 5-Sterne-Bereich. Seine Strahlkraft reichte bis auf die internationalen Kinoleinwände. So war das Grand Hotel 1969 im Bond-Streifen «On Her Majesty’s Secret Service» mit Bond-Darsteller George Lazenby zu sehen.
2011: Hans Krebs verkauft
Im April 2011 veräusserte Hans Krebs die sich in Familienbesitz befindende Anlage an die Grand Hotel Regina-Grindelwald AG. Dies nachdem das Grand Hotel über längere Zeit rote Zahlen geschrieben und vor allem asiatische Pauschalreisende beherbergt hatte. Eine familieninterne Übernahmelösung war nicht realistisch.
Seit 2011: Investorensuche
Die neuen Besitzer hegten ambitionierte Pläne. Die Zimmerzahl sollte von 50 auf 122 erweitert und fünf neue Chalets mit 50 luxuriösen, bewirtschafteten Apartements gebaut werden. Die Kostenschätzung wurde mehrmals nach oben angepasst, zuletzt auf 130 Millionen Franken. Die Investorensuche getaltete sich schwierig. Mehrmals wurde ein Deal in Aussicht gestellt, der dann doch nicht zustande kam. Seit 2014 steht das «Regina» leer. Am 9. September 2022 wird das Grand Hotel versteigert.