Herr Zihlmann, in Genf wurden die Veranstalter eines Public Viewings für die Fussball-Weltmeisterschaft in Katar in den Sozialen Medien harsch kritisiert. Der Anlass wurde mittlerweile abgesagt. Müssen Lokale, die WM-Spiele zeigen, mit öffentlicher Kritik rechnen?
Zuletzt, so mein Eindruck, wurden vermehrt Vorfälle skandalisiert oder Personen und Unternehmen geschnitten – Stichwort: Cancel Culture. Ein Beispiel sind die Konzerte, die abgebrochen oder abgesagt wurden, weil weisse Musiker Rastalocken tragen. Eine Prognose zu machen, ob ein Lokal Kritik auslöst, wenn es WM-Spiele zeigt, ist schwierig. Denn es handelt sich um kleine, lokale Veranstaltungen, was das Risiko senkt. Gleichzeitig können heute Einzelpersonen Empörungswellen auslösen, was das Risiko erhöht.

Wie soll zum Beispiel eine Bar reagieren, wenn sie in der Kritik steht?
Oberstes Ziel ist es, Schaden an Leib und Leben sowie Hab und Gut zu vermeiden. Eine Stellungnahme könnte sein: «Wir sehen vieles an der WM sehr kritisch, wollen aber nicht selbst als Schiedsrichter auftreten, sondern den interessierten Gästen die Möglichkeit bieten, die Spiele in Gesellschaft zu verfolgen.»[IMG 2]

Wie schätzen Sie das Risiko physischer Proteste wie Demonstrationen und Vandalismus ein?
Das Risiko, dass sich Kritik auch in physischer Form zeigt, ist als erhöht einzustufen. Das betroffene Lokal ist einfach zu identifizieren und nicht geschützt. Es reicht ein Einzelner, der seine Wut ablassen will. Proaktive Kommunikation kann helfen, die emotionalen Wogen zu glätten.

Gibt es Warnzeichen, ehe ein Shitstorm über einen hereinbricht?
Für kleine Unternehmen ist es schwierig, vorab etwas mitzubekommen. Immerhin sind Wirtinnen und Wirte nahe an den Gästen, so kommt ihnen möglicherweise frühzeitig etwas zu Ohren.

Mein Eindruck ist, dass Empörungswellen oft heftig, aber kurz sind.
Der Eindruck ist sicher nicht falsch. Häufig lässt sich schwer abschätzen, wie lange die Empörung anhalten wird. Bei der WM ist das anders. Die Aufregung wird sich mit Beginn der Spiele legen, und spätestens nach dem Finalspiel ist das Thema – zumindest für diesen Wettbewerb – erledigt.

In der Schweizer Hotellerie steckt auch Geld aus Ländern wie den Golfstaaten, Russland und China. Kann das dem Ruf eines Hotels schaden?
Noch ist mir kein Fall bekannt, wo das zum Problem geworden wäre. Aber wenn wir die Entwicklung der Empörungswellen in den letzten Jahren betrachten, ist nicht auszuschliessen, dass auch Hotels mit entsprechenden Geldgebern in die Kritik geraten werden.

Sollen sie die Geldgeber eher geheim halten oder transparent sein?
Ich würde empfehlen, die Tatsache zu kommunizieren beziehungsweise sich dazu bereitzuhalten. Man muss das nicht offensiv tun, sollte aber auf kritische Rückfragen vorbereitet sein.

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Mischa Stünzi