Heute Morgen hatte ich Lust auf Musik von Jean-Jacques Goldman. Von der Lust auf Goldman in meinem Kopf bis zur Musik aus meinen Kopfhörern vergehen nur wenige Sekunden. Willkommen im «Age of Access», wie es der amerikanische Ökonom Jeremy Rifkin schon im Jahr 2000 formulierte. [RELATED]
Rifkin sagte einen fundamentalen Wandel der Wirtschaft und damit der Gesellschaft voraus. Er sagte, Besitz, also das Eigentum an Dingen, werde an Bedeutung verlieren. Dafür werde der temporäre Zugang zu Dienstleistungen, also der Zugang (englisch Access), in den Vordergrund rücken. Der Kapitalismus werde sich in eine «Access Economy» verwandeln, in der Firmen nicht mehr Güter, sondern Zugang und Erlebnisse verkauften.
Im Jahr 2000 schien das reichlich weit hergeholt. Doch heute ist vieles davon Realität. Die meisten Menschen besitzen Musik und Filme nicht mehr. Sie haben über Onlinedienste Zugang zu riesigen Musik- und Filmbibliotheken. Früher kaufte man eine Software als Produkt, heute abonniert man sie als Dienstleistung.
Das ist das «Age of Access». Die Zugangsökonomie hat sich fast unbemerkt in unsere Welt eingeschlichen und zu einem grundlegenden Wandel geführt. Geschwindigkeit ist alles. Immer mehr Menschen sind es sich gewohnt, dass dank Digitalisierung erstens alles möglich ist und zweitens sofort. Und es geht noch schneller: Der Trend in China lautet «Instant Retail». In den grossen chinesischen Städten gilt Same-Day-Delivery schon als veraltet. Die Anbieter ermöglichen heute Lieferungen innert Minuten.
Die Konsumenten haben sich an das mörderische Tempo gewöhnt.
KI-gestützte Systeme analysieren Konsumtrends, passen Bestände an und sorgen dafür, dass Produkte schon vor der Bestellung in den Zwischenlagern verfügbar sind. Das macht die sofortige Auslieferung möglich. Es ist ein mörderisches Tempo – aber die Konsumentinnen und Konsumenten haben sich bereits daran gewöhnt.
Das Problem ist: Nicht alle Branchen können mit dieser Angebotsbreite, dieser Servicetiefe und vor allem mit dieser Geschwindigkeit mithalten. Das gilt auch und gerade für die Hotellerie. Selbst ein voll digitalisiertes Haus wie das Hotel Citybox in Oslo ist nicht so flexibel wie ein chinesischer Onlinehändler. Bevor ein Gast ein Zimmer beziehen kann, muss nun mal der Raum geputzt, müssen die Betten frisch bezogen werden. Die Prozesse rund um das Zimmer lassen sich aber nicht so flexibel und vor allem nicht in diesem Tempo abwickeln, wie das ein chinesischer Instant-Retailer vermag.
Die Gäste sind heute in digitaler Lichtgeschwindigkeit unterwegs. Sie erwarten superschnelle Dienstleistungen – und das hochflexibel und personalisiert. In der Hotellerie treffen sie auf eine Branche, die sich vielleicht im Buchungswesen und beim Anzeigen der Speisekarte digital geben kann. Unter der digitalen Oberfläche stecken aber viel Handarbeit, Logistik und ganz praktische Probleme wie zerrissene Bettlaken, ein Engpass beim Nachschub von Rauchlachs oder eine Baustelle des Tiefbauamtes vor der Haustüre.
Das grösste Problem für die Hotellerie im Umgang mit der Digitalisierung ist deshalb nicht der Computer. Zum grössten Problem werden die unrealistischen Erwartungen der Gäste. Die Verheerungen, die eine Instant-Ökonomie mit beliebig grosser Auswahl und Sofortlieferung mit Rückgaberecht in den Köpfen der Menschen anrichtet. Vielleicht ist es deshalb gar nicht so schlecht, wenn der Gast ab und zu mit einem Meldezettel konfrontiert wird, den er auf Papier ausfüllen muss, und mit einem Zimmerschlüssel, der so gross ist, dass er sich nicht in den Jeans verstauen lässt.
Matthias Zehnder ist freier Publizist, Berater und Autor. Er hat mehrere Start-up-Firmen und Publikationen rund um das Internet gegründet oder mitgegründet. Als Publizist beschäftigt er sich seit 30 Jahren mit der Digitalisierung und ihren Folgen.
