Der Gästeservice ist in der Schweiz seit 1974 im Preis inbegriffen. Trotzdem gehört es für viele Gäste zum guten Ton, ein paar Franken extra zu geben – bar, diskret und unkompliziert. Dieses Trinkgeld blieb lange unter dem Radar der Steuerbehörden. Durch die digitale Zahlweise wird es für Buchhaltung und Fiskus nun aber vermehrt sichtbar. Sobald Trinkgeld digital bezahlt wird, lässt es sich nicht mehr als «freiwillig und flüchtig» abtun. Jeder Beitrag wird überprüfbar. Was einst als spontane Geste galt, wird zum potenziellen Lohnbestandteil – mit allen Konsequenzen.
Zwischen Gesetz und Grauzone
Trinkgelder gehören laut Gesetz zum steuerbaren Einkommen. Doch die geltende Rechtslage ist schwammig und lässt Raum für Graubereiche. Entscheidend ist, ob das Trinkgeld einen «wesentlichen Teil des Lohns» ausmacht. Was genau als «wesentlich» gilt, ist unklar. Genau da beginnt das Problem: Aus einer freiwilligen Geste kann ein lohnrelevanter Betrag werden – mit Steuer- und Abgabepflicht. Hier setzt die Motion von Nationalrat Vincent Maitre (Die Mitte, GE) an.
Er fordert, dass Trinkgelder grundsätzlich steuer- und beitragsfrei bleiben – unabhängig davon, ob bar oder digital gezahlt, verbucht oder nicht. Er fordert eine klare Regelung, die der Realität im Gastgewerbe gerecht wird: «In Zeiten des Fachkräftemangels würde die Besteuerung von Trinkgeldern dazu beitragen, die gesamte Branche noch stärker zu benachteiligen.»
Der Bundesrat lehnt die Motion von Vincent Maitre ab. Die heutige Praxis funktioniere; eine generelle Befreiung berge Risiken für Lohnverlagerungen und die soziale Absicherung. Gleichzeitig aber prüft er im Zuge der AHV-Reform 2030, ob Trinkgeld künftig bei der AHV berücksichtigt werden soll – eine Reform, die auf den Schultern der Mitarbeitenden lastet.
Die Branche braucht Vertrauen statt Misstrauen, Vereinfachung statt Kontrolle.
Christian Hürlimann, Direktor HotellerieSuisse
Druck auf Personal und Betriebe
Wie Gastrosuisse stellt sich auch HotellerieSuisse hinter Maitres Motion. «Eine Besteuerung von Trinkgeldern wäre ein Rückschritt für die Branche», hält der Branchenverband fest. Zusätzliche Lohnabzüge würden die Nettolöhne senken, mit negativen Folgen für die Motivation und die Mitarbeiterbindung. Eine freiwillige Geste hätte plötzlich spürbare finanzielle Auswirkungen für alle Seiten: Wer regelmässig Trinkgeld erhielte, müsste Sozialabgaben zahlen, und für die Betriebe würden die Lohnnebenkosten steigen.
HotellerieSuisse warnt zudem vor einem Kontrollsystem, welches das Vertrauen im Betrieb untergraben würde. Und: Steigende Personalkosten könnten höhere Preise nach sich ziehen – mit Auswirkungen auf Nachfrage und Steuereinnahmen.
«Trinkgeld ist keine fixe Grösse, sondern eine Geste – und soll es bleiben. Die Branche braucht Vertrauen statt Misstrauen, Vereinfachung statt Kontrolle», sagt HotellerieSuisse-Direktor Christian Hürlimann. Eine AHV-Pflicht für Trinkgelder würde der Branche insgesamt schaden. Ob das Parlament Maitres Motion weiterverfolgen wird, entscheidet sich frühestens in der Herbstsession.
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