An einem Mittwochnachmittag mitten im November lädt das Valbella Resort in Lenzerheide zur Besichtigung des umgebauten Haupthauses ein. In den Zimmern und Suiten dominieren Holz und Naturstein sowie fröhliche Farben. Ebenfalls wurden eine grosse Einstellhalle, Ski- und Bikeräume sowie ein Personalhaus gebaut. Es regnet, auch auf den Bergspitzen: Das Parpaner Rothorn, der höchste Skiberg der Region, ist noch braun statt schneebedeckt. Die Bergbahnen sind geschlossen. Trotzdem sind vier 4-Sterne-Häuser und diverse 3-Sterne-Häuser geöffnet und sorgen so für warme Betten und Wertschöpfung mitten in der vorwinterlichen Zwischensaison.

Mitarbeitende gewinnen und Investitionen amortisieren
Thomas Vogt, Gastgeber des Valbella Resort, erklärt, weshalb das 4-Sterne-Plus-Hotel seit diesem November ganzjährig geöffnet ist. «Die Gäste kommen im Spätherbst gerne für eine Auszeit und Workation zu uns.» Zweites Stichwort ist der Fachkräftemangel. Das heutige Resort beschäftigt bis zu 160 Mitarbeitende. Somit ist es nach den Bergbahnen der zweitgrösste Arbeitgeber der Region. «Jetzt haben wir grössere Chancen, Fachkräfte zu finden, weil wir mehr Ganzjahresverträge anbieten können.»[RELATED]

Die längeren Öffnungszeiten und die erhofften Mehreinnahmen dienen auch der rascheren Finanzierung des letzten Umbaus in zweistelliger Millionenhöhe, als dies mit einem Zweisaisonbetrieb möglich wäre. Zwar erfolgt die Finanzierung durch die Besitzerfamilie Christiansen, der unter anderem der Legokonzern gehört. Trotzdem stehen Zinsen und Abschreibungen an.

Als Ganzjahresbetrieb haben wir grössere Chancen, Fachkräfte zu finden.

Thomas Vogt, Gastgeber Valbella Resort

Vogt ist überzeugt, dass er das Valbella Resort als Ganzjahresbetrieb erfolgreich positionieren kann. Der 51-Jährige will neu die Golfstaaten bewerben und ebenfalls die bisherigen Angebote für Familien, Wellness und Seminar weiter ausbauen. Vor allem im Seminarbereich sieht er grosses Potenzial, da das Valbella Resort zwischen Chur und Davos über das grösste Angebot verfügt. Vor Corona machte das Seminarbusiness bereits 30 Prozent des Umsatzes aus, auf dieses Niveau möchte Vogt wieder kommen.

Dass das Valbella Resort auf Ganzjahresbetrieb umstellt, passt zu den Zielen der Ferienregion. Schliesslich hat sie schon vor 15 Jahren mit einem Strategieprozess begonnen. Damals haben sich Hoteliers, Gastronomen, Politiker und Bergbahnenvertreter zusammengetan, um etwas gegen die sinkenden Logiernächtezahlen zu tun. «Sie erstellten einen Punkteplan und beschlossen, die Zusammenlegung der Skigebiete Arosa und Lenzerheide voranzutreiben, die Hotelinfrastruktur weiterzuentwickeln und im Sommer neben den Wanderern ein zweites Zielpublikum anzusprechen, nämlich Biker», erklärt Philipp Vassalli von der Lenzerheide Marketing und Support AG. Diese Ziele verfolgt die Ferienregion seither zwar nicht schmerzfrei, aber kontinuierlich und konsequent.

Seilbahnfusion für Qualität und längere Öffnungszeiten
Die Seilbahnverbindung mit Arosa kam 2013 zustande, die talübergreifende Verbindung 2015. Damit hat sich das Skigebiet um ein Drittel vergrössert. 225 Pistenkilometer sind durchgängig befahrbar. Ebenfalls schlossen sich davor drei Seilbahngesellschaften zu einer einzigen Unternehmung zusammen. Nun sind die Öffnungszeiten koordiniert, sodass immer jene Bahnen offen sind, die für die Verhältnisse das beste Angebot haben. Damit steigt die Qualität, während die Kosten sinken. Im Portfolio der Bergbahnen befindet sich ebenfalls der Bikepark, der Teil der Bikeregion Arosa, Lenzerheide und Chur ist. Unterhalt und Betrieb kosten zwar rund eine halbe Million Franken pro Saison, sorgen aber für eine gute Auslastung der Bahnen.[IMG 2]

Vom Bikeangebot direkt in den Ski- und Winterbetrieb
Die Bergbahnen versuchen im Frühling wie im Herbst möglichst lange offen zu bleiben. «Solange es nicht gefroren ist, bleibt der Bikepark in Betrieb. Sobald es genug Schnee hat, läuft Skibetrieb», sagt Thomas Küng. Der CEO der Lenzerheide Bergbahnen ist mit der Auslastung der Bahnen im Sommer nicht überall zufrieden, deshalb sollen die Erlebnisse am Berg ausgebaut werden, beispielsweise für Familien. Der 41-Jährige begründet die langen Öffnungszeiten mit der Verantwortung der Bahnen gegenüber den Leistungsträgern im Tal. Deren Wertschöpfung sei direkt von den Bahnen abhängig.

In vielen Bergregionen wird darüber gestritten, wer mit dem Ganzjahrestourismus beginnen soll. Hotels oder Bahnen? Diese Frage stellte sich in Lenzerheide nicht. «Alle Führungspersonen wollen vorwärtskommen, die Köpfe passen, wir geben einfach Gas», sagt Philipp Vassalli. In einigen Destinationen wie beispielsweise in Gstaad unter-stützen Gemeinden die Bergbahnen finanziell. Im Leistungsauftrag werden unter anderem auch die Öffnungszeiten definiert. Davon hält Thomas Küng, der fünf Jahre bei der Beratungsfirma Grischconsulta gearbeitet hat, allerdings wenig: «Es muss möglich sein, flexibel auf die sich ständig verändernde Wetter- und Umfeldsituation zu reagieren. Je stärker der Betrieb an starre Vereinbarungen gebunden ist, desto weniger kann er unternehmerisch entscheiden.» Gibt es ein Rezept für Ganzjahrestourismus? «In jeder Destination sind die Voraussetzungen anders», antwortet Thomas Vogt. Die Ferienregion Lenzerheide habe aber auch grosses Glück. Sie habe eine ideale Höhenlage für Wanderer und Biker, liege nur 20 Minuten von Chur entfernt und sei aus der ganzen Ostschweiz gut erreichbar

Schweizer Gäste verhelfen zum Allzeithoch
Nach der Finanzkrise 2008 sanken die Logiernächtezahlen im Bündnerland stark, weil die ausländischen Gäste fernblieben. Lenzerheide hingegen hatte schon immer überdurchschnittlich viele Schweizer Gäste und litt weniger. Ab 2007 profitierte Lenzerheide zudem von der Ganzjahresstrategie. Die Ferienregion zählt zu den Corona-Gewinnern: Zum hohen Schweizer Gästeanteil kamen neue dazu. Heute stammen 85 Prozent der Gäste aus der Schweiz und 10 Prozent aus Deutschland, Österreich und Italien.

Blanca Burri