Vor fünf Jahren brach die Pandemie über die Welt herein und hat den Geschäftstourismus schwer getroffen. Was sind Ihre wichtigsten Learnings aus dieser Zeit?
Zwischen Januar 2020 und Juli 2021 hat sich technologisch unglaublich viel getan. In dieser kurzen Zeitspanne haben wir mehr Innovationen gesehen als in den Jahren zuvor. Die Welt wurde auf einmal digital: Konferenzen fielen aus, Hotels blieben leer. In der Schweiz hat der Bundesrat aber mit Augenmass reagiert, und viele Hotels haben die Zeit genutzt, um sich technologisch neu aufzustellen – vor allem im Bereich hybrider Konferenzen und Streaming. Das hat die Branche für die Zukunft gut vorbereitet.
Hybride Formate wie Teams oder Zoom haben stark zugenommen. Ist das noch immer ein grosser Teil des Geschäfts, oder sehen Sie eine Rückkehr zu physischen Meetings?
Die Menschen wollen wieder zusammenkommen, und viele internationale Meetings sowie Vertriebsmeetings finden wieder live statt. Gleichzeitig bleiben interne Meetings in Unternehmen oft digital, was Kosten spart. Das sind einerseits Reisekosten, anderseits Übernachtungskosten. Das spürt die MICE-Hotellerie natürlich, aber innovative Hotels schaffen es, neue Geschäftsfelder zu erschliessen.
Jede fünfte Hotelübernachtung in der Schweiz ist geschäftsbedingt. Das entspricht rund acht Millionen Logiernächten. Was könnte die Branche tun, um dieses Segment besser zu bedienen?
Vieles liegt auf der Hand, wird aber oft nicht genutzt. Ich stehe dann in einem Hotel und sage: Ey, verpasste Chance.
Nennen Sie mir ein konkretes Beispiel.
Da liegt ein Hotel in schönster Umgebung. Aber als Konferenzgast erhalte ich keine Informationen, was ich zum Beispiel am Wochenende unternehmen könnte. Es wird nichts unternommen, um den Gast für einen privaten Aufenthalt zu motivieren. Ein Seminar- oder Konferenzgast sollte immer ein Angebot für einen erneuten Besuch erhalten, sei es zu Ostern, Weihnachten oder für ein Familienwochenende. Das ist doch grossartiges Potenzial, um etwa die Saison zu verlängern. Auch die systematische Erfassung von Kontaktdaten für Nachfassaktionen wird oft vernachlässigt. Hier gibt es enormes Potenzial, um die Kundenbindung zu stärken.
Wo liegt denn das Problem?
Der Hotelier müsste seine Hausaufgaben machen. Oder die Sales-Abteilung. Es reicht halt heute nicht mehr, als Gschänkliüberbringer zu funktionieren. Dazu kommt ein Loyalitätsproblem, das wir in vielen Hotels sehen. Die Verkaufsleute wechseln ihre Stellen sehr schnell. So kann keine Beziehung zum Haus entstehen. Ich kenne Travelmanager, die sammeln schon längst keine Visitenkarten mehr. In einem halben Jahr ist ja sowieso eine andere Person für den Verkauf zuständig.
Eigentlich unverständlich, wenn man weiss, dass der MICE-Umsatz bis 2030 allein in der Schweiz auf 1,8 Milliarden Dollar geschätzt wird.
Das ist so. In Deutschland sind es knapp 60 Milliarden, in den USA um die 100 Milliarden. Da liegt ein riesiges Potenzial brach. Schweiz Tourismus macht einen hervorragenden Job und holt die Gäste ins Land. Wenn sie aber da sind, müssen die Gastgeber übernehmen. Die Schweiz organisiert im nächsten Jahr viele Grossanlässe: ESC, die Frauenfussball-EM, die Ski-WM 2026 in Crans Montana. Das sind einmalige Chancen, die wir packen müssen.
Ein Seminargast sollte immer ein Angebot für einen erneuten Besuch erhalten.
Die Schweiz gilt als beliebtes MICE-Land. Wo liegen unsere Stärken, und wo sehen Sie Herausforderungen im internationalen Vergleich?
Unsere Stärken liegen in der Sicherheit, der Sauberkeit, der Mehrsprachigkeit und der guten Infrastruktur. Herausforderungen gibt es beim Preisniveau. Wir sind oft teurer als Konkurrenten wie Wien, Prag oder Berlin. Zudem werden grosse Konferenzen heutzutage immer kurzfristiger geplant, was unsere Kapazitätsgrenzen testen kann.
Thema Buchungstools. Ich nehme an, dass das Telefon für einen Veranstalter heute nur noch eine untergeordnete Rolle spielt.
Absolut. CVent, Meetago oder Meetingselect spielen hier ganz oben mit. Insgesamt sind es vielleicht sieben, acht Unternehmen, die systemrelevant sind. Wenn ich mich mit Hoteliers unterhalten, kennen alle Booking.com. Klar. Aber die eben erwähnten? Da kommt wenig. Und das ist ein Problem, denn da spielt die Musik. Viele Hoteliers denken noch immer, dass die Tagungen und Meetings per Telefon oder E-Mail angefragt werden.
Gibt’s das so wirklich nicht mehr?
Im Bereich KMU mag das noch so gemacht werden, aber im grossen Business geht nichts mehr ohne die Plattformen.
Wie mache ich denn das als kleines Haus? Mir fehlt doch die Zeit, um mich mit all den Tools auseinanderzusetzen.
Sie kommen nicht mehr darum herum. Unternehmen buchen heute ihre Events wie eine Geschäftsreise. Die buchen den Flug online, das Tagungshotel online, die Kaffeepause, Lunch und Dinner, Chauffeurservice, alles online. Wenn du hier als kleines Hotel nicht dabei bist, kriegst du kein Geschäft mehr. Das wird immer mehr zunehmen, denn unternehmensintern werden die Verantwortlichen angehalten, mit diesen Plattformen zu arbeiten. Die sind an die ganze interne IT angebunden, ans Buchungs- und Verrechnungssystem etwa. Dazu kommen die ganzen Compliance-Vorgaben, da haben Telefon oder gar Fax keine Chance mehr heute.
Nachhaltigkeit ist ein wichtiges Thema. Welche Rolle spielt sie im MICE-Bereich?
Eine sehr grosse. Green Meetings sind heute Standard. Unternehmen erwarten, dass Veranstaltungsorte mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar sind und dass Hotels nachhaltige Praktiken umsetzen. Sind Nachhaltigkeitszertifikate vorhanden? Wie sieht das Frühstücksbuffet aus, sind die Trinkhalme aus Plastik, welche Verpackungen gibt es? Wer diese Standards nicht erfüllt, wird von Veranstaltern oft nicht mehr berücksichtigt. Das betrifft alles – von E-Autos für den Shuttleservice bis hin zur Vermeidung von Plastikverpackungen.
Wo steht hier die Schweizer Hotellerie im Vergleich?
Die Schweiz ist in Sachen Nachhaltigkeit vorne mit dabei, das kann ich guten Gewissens sagen, da ich international vergleichen kann.
Wer spielt sonst noch vorne mit?
Das sind ganz allgemein die skandinavischen Länder, die sind Vorreiter.
Technologien wie Augmented Reality oder Virtual Reality: Sind das ernstzunehmende Trends oder Spielereien?
Das sind keine Spielereien mehr, sondern wichtige Werkzeuge. Gerade bei Messen und Produktpräsentationen sehen wir viele Anwendungen, von virtuellen Räumen bis hin zu Gamification. Accor leistet in Sachen Gamification Pionierarbeit. Auch Avatare werden zunehmend genutzt – sei es für Vorträge an mehreren Orten gleichzeitig oder für interaktive Gästeerlebnisse. Diese Technologien haben das Potenzial, die Branche nachhaltig zu verändern.
Nennen Sie uns ein besonders eindrückliches Beispiel.
Aus der Unterhaltungsbranche kommt mir das Abba-Konzert in London in den Sinn. Eine zweistündige Veranstaltung mit den vier als Avatare. Das ist sensationell. Heute gibt es bereits viele Speaker, die ihre eigenen Avatare kreieren. Da tritt also ein Redner in Deutschland auf, während gleichzeitig ein Avatar in Singapur sitzt, ein zweiter in Dubai. Er kann also seinen Vortrag dreimal verkaufen. Künstliche Intelligenz übernimmt die Übersetzungen.
Beim Thema Gamification kommen mir vor allem junge Menschen in den Sinn. Lässt sich Spielerisches tatsächlich in den Geschäftstourismus integrieren?
Vor Kurzem hatten wir in Hannover unter anderem mit Schweiz Tourismus zu einem Kongress geladen: The Future of Events. Eingeladen haben wir nicht etwa Eventagenturen, sondern 90 Studierende und Lernende, dazu Dozentinnen und Dozenten. Wir wollten herausfinden, wie die Konferenz der Zukunft aussieht.
Da bin ich gespannt.
70 Prozent der jungen Leute wünschen sich Altbewährtes wie Sicherheit, viele Pausen, persönlichen Austausch. Nur ein Drittel wünscht sich technische Dramaturgie. Technologie ja, aber nur da, wo sie wirklich unabdingbar ist. Vielleicht wäre das mal etwas, das wir auch in der Schweiz organisieren könnten.
Abschliessend wüsste ich gerne, was sind für Sie die drei wichtigsten Zutaten für einen gelungenen MICE-Anlass?
Erstens die richtige Location – nicht jedes Hotel passt zu jedem Event. Zweitens ein durchdachtes Programm mit klarer Dramaturgie. Drittens müssen Veranstalter immer die Teilnehmerperspektive einnehmen: Was sind die drei Take-aways, die die Gäste mit nach Hause nehmen? Denn der Return on Investment ist auch bei Events entscheidend.